AMNOG 2014: Fragwürdige Vergleichstherapien bei der Nutzenbewertung neuer Arzneimittel für Brust- und Prostatakrebs
Alle neu zugelassenen Medikamente werden in Deutschland seit Anfang 2011 dem Verfahren der frühen Nutzenbewertung unterzogen. Verantwortlich ist der Gemeinsame Bundesausschuss. Ziel ist die Bestimmung des Zusatznutzens neuer Medikamente als Basis der langfristigen Preisfestlegung in den Verhandlungen zwischen pharmazeutischen Unternehmern und Krankenkassen.
Die DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. unterstützt das Verfahren der frühen Nutzenbewertung. Es ist ein geeignetes Instrument, um den medizinischen Bedarf an neuen Wirkstoffen, die Interessen der global agierenden pharmazeutischen Unternehmen und die beschränkten finanziellen Ressourcen im Gesundheitswesen in einem transparenten Verfahren im Gleichgewicht zu halten.
Der Zusatznutzen eines neuen Medikamentes orientiert sich am aktuell gültigen Behandlungsstandard. Dieser Standard wird als zweckmäßige Vergleichstherapie für das Verfahren der frühen Nutzenbewertung vom Gemeinsamen Bundesausschuss nach internen Recherchen festgelegt. Schon in der Vergangenheit haben die Festlegungen mehrfach Anlass zu Kritik gegeben, auch zu arbeitsaufwändigen Revisionen von Teilen der Verfahren der frühen Nutzenbewertung geführt.
Die Definition des Behandlungsstandards muss dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens entsprechen. Die Erarbeitung entsprechender Empfehlungen ist Gegenstand lebhafter Diskussionen innerhalb von und zwischen wissenschaftlichen Fachgesellschaften bei der Erstellung von Leitlinien. Der Prozess ist dynamisch, insbesondere in so forschungsaktiven Disziplinen wie der Onkologie und der Hämatologie.
Die Probleme wurden in zwei aktuellen, zeitgleich durchgeführten Verfahren deutlich. Für die Wirksamkeit des neuen Radionuklids Radium-223 (Xofigo®) bei Patienten mit kastrationsresistentem Prostatakarzinom und Knochenmetastasen wurde eine Chemotherapie mit Docetaxel als Vergleichstherapie festgelegt. Docetaxel ist wirksam, aber mit den Nebenwirkungen einer Taxan-haltigen Chemotherapie belastet. Die aktualisierte S3-Leitlinie zum Prostatakarzinom sieht als Alternative die Therapie mit Abirateron vor, siehe http://www.aezq.de/mdb/edocs/pdf/info/konsultationsfassung-leitlinie-prostatakarzinom.pdf. Das entspricht der täglichen Praxis.
Im Verfahren zur Wirksamkeit von Trastuzumab Emtansin (Kadcyla®) beim rezidivierten, HER2 positiven Mammakarzinom wurde als Vergleichstherapie die Behandlung mit Anthrazyklinen festgelegt. Diese Empfehlung findet sich in keiner der aktuellen deutschen Leitlinien, ist nicht durch Studien begründet und darüber hinaus angesichts des Risikos belastender Kardiotoxizität in der realen Patientenbetreuung schwer nachvollziehbar.
Die Beispiele bestätigen, wie schwierig die korrekte Festlegung zweckmäßiger Vergleichstherapien gerade vor dem Hintergrund der immer komplexer werdenden Behandlungssituation von Krebspatienten ist. Die frühzeitige Hinzuziehung von Experten, Fach- und Dachgesellschaften kann den Abgleich der Festlegung einer Vergleichstherapie mit dem aktuellen Stand des Wissens gewährleisten.
Bei dem kritischen Punkt der Festlegung zweckmäßiger Vergleichstherapien besitzt die frühe Nutzenbewertung eine Schwachstelle, die im Interesse der Glaubwürdigkeit des Verfahrens geschlossen werden muss.