Politischer Streit zulasten der Patientinnen und Patienten – Marktrücknahme des Krebsmedikamentes Amivantamab

26.08.2022
Janssen-Cilag hat das Krebsmedikament Amivantamab (Rybrevant®) mit sofortiger Wirkung vom deutschen Markt genommen. Amivantamab ist zugelassen zur Behandlung einer seltenen Form des fortgeschrittenen Lungenkrebs. Als Grund gibt das pharmazeutische Unternehmen eine schlechte Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss im Rahmen des Verfahrens der frühen Nutzenbewertung an. Damit wird ein Streit um formale Aspekte auf dem Rücken von Patientinnen und Patienten ausgetragen, die von dem Arzneimittel profitieren.

Janssen-Cilag hat am 25. August 2022 bekanntgegeben, das Krebsmedikament Amivantamab (Rybrevant®) vom deutschen Markt zu nehmen. Amivantamab ist zugelassen zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem, nichtkleinzelligem Lungenkarzinom (non small cell lung cancer, NSCLC) und aktivierenden Exon 20-Insertionsmutationen des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR) nach Versagen einer platinbasierten Therapie. Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel durch das sogenannte AMNOG-Verfahren hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 7. Juli 2022 die Festlegung „Zusatznutzen nicht belegt“ getroffen. Aus Sicht von Janssen-Cilag besteht aufgrund dieser Ausgangslage keine Möglichkeit, Amivantamab weiterhin in Deutschland zur Verfügung zu stellen.

„Bei mehr als 60.000 Neudiagnosen Lungenkrebs im Jahr betrifft die Marktrück¬nahme zwar nur wenige hundert Patientinnen und Patienten, aber diese besonders hart. Die Exon 20-Insertionsmutationen sind prognostisch ungünstig, weil andere Medikamente und Chemotherapien nicht ausreichend wirksam sind“, so Prof. Dr. med. Torsten Bauer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin.

Amivantamab ist ein wirksames und sicheres Arzneimittel. Die Entscheidung zur Einreichung der Zulassung war auf Basis der positiven Ergebnisse der initialen Phase-I-Studie getroffen worden. Amivantamab wurde im Dezember 2021 für die Europäische Union (EU) sowie für Deutschland zugelassen und wird seitdem eingesetzt. Der bei Markteinführung von Janssen-Cilag aufgerufene Preis liegt bei etwa 135.000 Euro pro Jahr. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) und die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) hatten sich im aktuellen Verfahren für die Festlegung eines Zusatznutzens ausgesprochen.

Da die Zulassung nur auf Basis einer nicht-randomisierten Studie erfolgt war, bezog sich der Vergleich im Verfahren der frühen Nutzenbewertung auf Daten aus zwei deutschen Lungenkrebs-Registern (CRISP und nNGM). Dabei zeigte sich im indirekten Vergleich fast eine Verdoppelung der medianen Überlebenszeit. Dieser Registervergleich war vom G-BA nicht als valide anerkannt worden.

Das reguläre Verfahren sieht vor, dass pharmazeutisches Unternehmen und Krankenkassen auf Basis der Festlegung des G-BA in Preisverhandlungen treten und bei Dissens auch ein Schiedsgericht anrufen können. Das ist nicht geschehen, Janssen-Cilag entschied sich nach den ersten Gesprächen für den Opt-Out.

Die aktuelle Lage ist für Patientinnen und Patienten und für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sehr belastend. Durch die kurzfristige Entscheidung von Janssen-Cilag bestand keine Reaktionsmöglichkeit. Damit muss Amivantamab (Rybrevant®) zur Fortsetzung einer bereits begonnenen Therapie oder zur Einleitung einer neuen Behandlung jetzt aus dem Ausland importiert werden. Patientinnen und Patienten werden durch solche, nicht medizinisch begründeten Entscheidungen verunsichert. Dazu kommt, dass der Import aus dem Ausland eine besondere ärztliche Verantwortung und einen hohen administrativen Aufwand mit sich bringt. Das kann die Verordnung verzögern.

Die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften haben das AMNOG-Verfahren der frühen Nutzenbewertung als Grundlage von Preisverhandlungen zwischen pharmazeu¬tischen Unternehmen und Krankenkassen seit 2011 aktiv unterstützt. Es ermöglicht, die Preise von Krebsmedikamenten in Deutschland auf einer wissenschaftlichen Grundlage festzulegen. Die Mehrzahl der Entscheidungen zu Krebsmedikamenten ist im Einklang mit Therapieempfehlungen und Leitlinien der Fachgesellschaften getroffen worden. Das AMNOG-Verfahren schafft somit die Basis für den Zugang der Krebspatientinnen und -patienten zu neuen, wirksamen Arzneimitteln. Marktrücknahmen wie bei Regorafenib (Stivarga®) sind erfreulich selten oder werden wie bei Osimertinib (Tagrisso®) sogar rückgängig gemacht.

Eine einseitige Schuldzuweisung ist in der jetzigen Situation nicht angebracht. Der Vergleich der Daten aus der Zulassungsstudie mit Registerdaten ist kein Ersatz für randomisierte Studien. Dennoch hat ein solcher Vergleich mit Daten wissenschaft¬lich anerkannter Register aus dem deutschen Versorgungskontext für uns einen hohen Stellenwert. Er sollte im Verfahren der frühen Nutzenbewertung berücksichtigt werden.

„Legitime monetäre Interessen der pharmazeutischen Unternehmen entbinden die¬se aber nicht von ihrer sozialen und gesundheitspolitischen Verantwortung“, betont Prof. Dr. med. Hermann Einsele, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der Medizinischen Klinik II des Universitätsklinikums Würzburg. Eine so kurzfristige Marktrücknahme ist laut Einsele inhaltlich schwer nachvollziehbar.

Möglicherweise lässt sich das Vorgehen auch vor dem Hintergrund der Diskussion über den Entwurf für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz aus dem Bundesministe-rium für Gesundheit (BMG) erklären. Die vorgeschlagenen, neuen Regelungen sehen unter anderem Preisabschläge bei neuen Arzneimitteln vor. Das führt aktuell zu spürbarer Verunsicherung sowohl bei Leistungserbringern als auch bei pharma-zeutischen Unternehmen.

DGHO und DGP fordern alle Beteiligten auf, das Vertrauen der Betroffenen in die Verlässlichkeit der Versorgung mit neuen Arzneimitteln in Deutschland nicht durch inhaltlich nicht nachvollziehbare Entscheidungen, kurzfristige Marktrücknahmen oder überzogene Forderungen zu gefährden.