In vier Jahren vom „Breakthrough of the year“ bis zur ersten Zulassung: Die Hämatologie und Onkologie bleibt ein extrem innovatives Fachgebiet
Im Jahr 2013 wurde die Immuntherapie bei Krebs vom Fachmagazin Science als „Breakthrough of the year“ bezeichnet. Gerade einmal gut vier Jahre später – Ende August 2017 – hat die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) erstmals ein genetisch manipuliertes, zelluläres Immuntherapeutikum für die Behandlung von B-Zell-akuter lymphatischer Leukämie bei Kindern und jungen Erwachsenen bis zum Alter von 25 Jahren zugelassen. Dabei beruht der Wirkmechanismus des neuen Arzneimittels auf dem Einsatz sogenannter CAR T-Zellen.
CAR T-Zellen: Tumorzellen sichtbar machen
Prof. Dr. med. Lothar Kanz, diesjähriger Kongresspräsident und Ärztlicher Direktor der Abteilung für Innere Medizin II – Onkologie, Hämatologie, Immunologie, Rheumatologie und Pulmologie am Universitätsklinikum Tübingen, erläutert den Wirkmechanismus von CAR T-Zellen und hebt das Potenzial des Einsatzes in der Behandlung von Blutkrebserkrankungen und zukünftig eventuell auch von soliden Tumoren hervor. „Mit der CART-Technologie ist es möglich geworden, auf T-Lymphozyten der Patienten neue Rezeptoren (chimäre Antigenrezeptoren) zu exprimieren, die spezifische Zellstrukturen auf der Oberfläche von malignen Zellen erkennen können, und zwar unter Umgehung des T-Zell-Rezeptors und unabhängig vom HLA-Typ, bei Erhaltung einer hochpotenten, typischen T-Zell-Antwort nach Reaktion mit den Tumorzellen.“
Dabei ist das Verfahren zur Herstellung von CAR T-Zellen äußerst komplex. Zunächst werden dem Patienten T-Lymphozyten aus dem Blut entnommen und mithilfe eines gentechnischen Eingriffs ein chimärer Antigenrezeptor eingeführt. In Form von CAR T-Zellen werden dem Patienten die veränderten T-Lymphozyten schließlich intravenös rückinfundiert. Diese sind dann in der Lage, spezifische Antigene auf den Krebszellen zu erkennen, mit diesen zu interagieren und eine charakteristische T-Zell-Immunantwort auszulösen, in deren Rahmen die Krebs¬zellen zerstört werden. Bei der B-Zell-akuten lymphatischen Leukämie binden die CAR T-Zellen – in diesem Fall mit der Spezifikation „CTL019“ – an das CD19-Antigen. Diese Therapie ist allerdings nicht ungefährlich: Ein lebensbedrohliches, sogenanntes Zytokin-Release-Syndrom, mit zum Teil schweren neurologischen Komplikationen, kann auftreten.
„Grundsätzlich“, so Kanz, „besitzt die zelluläre Immuntherapie für weitere hämato-logische und auch solide Malignome großes Potenzial.“ So konnten beispielsweise in einer Phase-I/II-Studie zur Sicherheit und Effektivität zum Einsatz von CAR T-Zellen, die sich gegen BCMA beim refraktären/rezidivierten Multiplen Myelom richten, vielversprechende Effekte gezeigt werden.
Zelluläre Immuntherapie: Teil eines differenzierten Werkzeugkastens
Dass die Zulassung eines Arzneimittels aus dem Bereich der zellulären Immuntherapie als ein weiterer Schritt in einer ganzen Reihe von innovativen Entwicklungen der letzten Dekaden zu verstehen ist, betont Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik für den Bereich Onkologie, Hämatologie und Knochenmarktransplantation mit Sektion Pneumologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Dazu gehören u. a. Tyrosinkinase-Inhibitoren, optimierte monoklonale Antikörper, bispezifische Antikörper, Toxin-gekoppelte Antikörper, Vakzinierungsstrategien oder Checkpoint-Inhibitoren. „Betrachtet man die verschiedenen Ansätze der medikamentösen Tumortherapie als Bestandteile eines sehr differenzierten Werkzeugkastens, stellt die zelluläre Immuntherapie in Form des Einsatzes von CAR T-Zellen sicherlich eines der spannendsten neuen Instrumente dar.“
Medizinische Onkologie: Bedeutung des Fachgebiets nimmt zu
Durch die rasante Wissenszunahme im Bereich der Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen wird laut Bokemeyer die Bedeutung des Fachgebiets der Medizinischen Onkologie zunehmen. „Bei der Klassifikation von Krebserkrankungen erleben wir einen Paradigmenwechsel von einer zellulär- und organpathologischen hin zu einer molekularpathologischen Perspektive. Die Anforderungen an das Verständnis der Wirkmechanismen der neuen Arzneimittel steigen zunehmend. Zudem steigen auch die Anforderungen an ein komplexes und systemisches Nebenwirkungsmanagement.“ Aus diesem Grund gehören entsprechende System-therapien in die Hände von im Bereich der medikamentösen Tumortherapien speziell ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten.
Immuntherapie: Was kommt danach?
„Über eine mögliche „Post-Immuntherapie-Ära“ wird noch nicht aktiv spekuliert“, so der Kongresspräsident. Vor allem gehe es derzeit um die Optimierung dieser vielversprechenden und zum Teil bereits sehr erfolgreichen Therapiemodalitäten. Darüber hinaus sei es evident, dass zukünftig insbesondere Kombinationsstrategien (mit Chemotherapie und/oder Bestrahlung, molekular gerichteten Therapien wie z.B. Tyrosinkinase-Inhibitoren sowie insbesondere auch Vakzinierungsansätzen) erfolgreich sein könnten.
„In den kommenden Jahren werden wir vor eine Vielzahl von Herausforderungen gestellt“, so Kanz. „Wir werden uns dringend mit Fragen der Finanzierbarkeit, insbesondere von Kombinationstherapien, auseinandersetzen müssen. Ebenfalls wird es sehr wichtig sein, die zügige Translation von wissenschaftlichen Erkennt-nissen in den klinischen Behandlungsalltag zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels müssen wir eine qualitativ hochwertige medika-mentöse Tumortherapie für ein zunehmend älter werdendes Patientenkollektiv sicherstellen und dabei insbesondere auch die Lebensqualität der behandelten Patienten berücksichtigen. Und: Fortschritt ist nie nur Selbstzweck. Das neue Wissen und die rasant wachsenden Mengen genomischer Daten (Tumorgenom-Sequenzierung, Proteomanalyse), verbunden mit den klinischen Daten/Therapie-daten der jeweiligen Patienten und Ergebnissen aus klinischen Studien mit den neuen Therapeutika, führen nur dann zum klinischen Fortschritt, wenn wir daraus immer auch sinnvolle Behandlungsstrategien für individuelle Behandlungspfade von Patientinnen und Patienten generieren“, erläutert Kanz.
Ausführliche Informationen unter: www.haematologie-onkologie-2017.com
Über die DGHO
Die DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. besteht seit 80 Jahren und hat heute mehr als 3.000 Mitglieder, die in der Erforschung und Behandlung hämatologischer und onkologischer Erkrankungen tätig sind. Mit ihrem Engagement in der Aus-, Fort- und Weiterbildung, mit der Erstellung der Onkopedia-Leitlinien, mit der Wissensdatenbank, mit der Durchführung von Fachtagungen und Fortbildungsseminaren sowie mit ihrem gesundheitspolitischen Engagement fördert die Fachgesellschaft die hochwertige Versorgung von Patientinnen und Patienten im Fachgebiet.
Über die OeGHO
Die Österreichische Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie hat sich zum Ziel gesetzt, die Betreuung von Patientinnen und Patienten österreichweit an den höchsten Standard heranzuführen. Die OeGHO zählt als Fachgesellschaft aktuell ca. 700 Mitglieder, von denen ein Großteil Fachärzte oder Fachärztinnen für Innere Medizin mit Additivfach Hämatologie und Internistischer Onkologie sind. Neben der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegekräften, der Festlegung von Standards für die Facharztausbildung und Ausbildungsstätten und der Erarbeitung von Leitlinien will die OeGHO die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen allen an der Krebstherapie Beteiligten und die Forschung auf dem Gebiet der Hämatologie und Onkologie aktiv fördern.
Über die SGMO
Die Schweizerische Gesellschaft für Medizinische Onkologie ist die Vereinigung von Ärzten, die auf die Erforschung, Diagnose und Behandlung bösartiger solider Tumoren und Blutkrankheiten spezialisiert sind. Mit der Aufwertung der internistischen Subspezialitäten zu eigenen Fachgesellschaften wurde der Subspezialitätentitel Hämatologie/Onkologie in den Facharzttitel „Medizinische Onkologie“ umgewandelt. Seit der Gründung der SGMO im Jahre 1999 hat ihre Mitgliederzahl stetig zugenommen und erreicht heute über 300 ordentliche und außerordentliche Mitglieder. Neben den Fachärzten für Onkologie sind als außerordentliche Mitglieder Hämatologen und Forscher vertreten.
Über die SGH+SSH
Die Schweizerische Gesellschaft für Hämatologie (SGH) ist der Berufsverband und die Fachgesellschaft der Ärztinnen und Ärzte mit dem Facharzttitel Hämatologie. Sie hat folgende Zielsetzung: Die Förderung der Hämatologie in der Schweiz, die Förderung, Gewährleistung und Überwachung der Aus-, Weiter- und Fortbildung in der Hämatologie, die Wahrung der beruflichen Interessen der Hämatologen in der Schweiz sowie die Förderung der Kollegialität unter den Mitgliedern. Die SGH zählt mehr als 300 Mitglieder.
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