Priorisierung in der Krebsversorgung: Breiter Konsens für Handlungsempfehlungen im Falle von Ressourcenknappheit in der Pandemie
Priorisierung in der Krebsversorgung weiterhin relevantes Thema
Es ist davon auszugehen, dass in den kommenden Monaten ein Mehrbedarf an Diagnostik und Therapie in der ambulanten und stationären Krebsmedizin besteht, da während der COVID-19-Pandemie teilweise weniger Krebserkrankungen als in regulären Zeiten diagnostiziert wurden. Ärzt*innen sowie andere Berufsgruppen, die in der onkologischen Versorgung tätig sind, müssen daher immer wieder Entscheidungen über die Zuteilung von vorhandenen Betten, Personal und anderen Ressourcen treffen. Solche Entscheidungen können Behandler*innen belasten. Gleichzeitig müssen Entscheidungen über die Verteilung knapper Ressourcen wohlinformiert, transparent und fair getroffen werden.
Breiter interdisziplinärer Konsens mit Unterstützung durch Patientenvertretung
Im Rahmen des vom BMBF geförderten CancerCOVID Forschungsvorhabens (Koordination Prof. Dr. med. Jan Schildmann, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) haben nun mit mehr als 30 wissenschaftlich medizinischen Fachgesellschaften und weiteren Organisationen Handlungsempfehlungen für die Priorisierung in der Krebsversorgung im Falle einer zeitlich begrenzten Ressourcenknappheit veröffentlicht. Die von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) anerkannte S1-Leitlinie „Priorisierung und Ressourcenallokation im Kontext der Pandemie. Empfehlungen für die Krebsversorgung am Beispiel gastrointestinaler Tumoren“ wurde unter Federführung der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) in der Deutschen Krebsgesellschaft (Prof. Dr. med. Anke Reinacher-Schick, Vorsitzende der AIO und Direktorin der Klinik für Hämatologie und Onkologie mit Palliativmedizin am Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum) und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) (Prof. Dr. med. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der DGHO, Berlin) erarbeitet. Neben medizinischen Fachexpert*innen wurden auch Vertreter*innen von Patient*innenorganisationen sowie Fachvertreter*innen aus Ethik, Recht und Versorgungsforschung einbezogen.
Konkrete Empfehlungen zur Minimierung von Schaden
Das handlungsleitende ethische Prinzip im Falle notwendiger Priorisierungsentscheidungen ist, dass der mögliche Schaden minimiert wird, so Schildmann. Bei der Entscheidungsfindung gilt das Mehraugenprinzip. Die Handlungsempfehlungen wurden entsprechend dem wissenschaftlichen Schwerpunkt im CancerCOVID-Projekt auf die Versorgung von an Bauchspeicheldrüsenkrebs beziehungsweise Darmkrebs erkrankten Patient*innen fokussiert. Auf diese Weise konnten konkrete Handlungsempfehlungen für die medizinische Praxis, unterstützt durch einen breiten transsektoralen Konsens von Fachexpert*innen aus Medizin, Ethik, Recht und Versorgungsforschung sowie Patient*innenvertretern, formuliert werden, so Reinacher-Schick. Angesichts der Komplexität von Entscheidungen in der Onkologie lässt die Leitlinie bewusst einen Ermessensspielraum für die Einzelfallentscheidung, ergänzt Wörmann.
Weiterentwicklung der S1-Leitlinie geplant
Die Leitlinie gilt zunächst für maximal ein Jahr. Eine Überarbeitung ist, auch angesichts zu erwartender neuer Erkenntnisse über die Versorgung von an Krebs erkrankten Patient*innen im Kontext der Pandemie, von Seiten der Verantwortlichen fest geplant.
Die S1-Leitlinie ist unter folgendem Link abrufbar:
https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/018-039.html
Über die AIO
Die Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) ist eine der größten wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften in der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. und zählt heute mehr als 1.400 ordentliche, außerordentliche und fördernde Mitglieder, die in mehr als 20 Arbeitsgruppen ehrenamtlich tätig sind. Die AIO sieht ihre wichtigsten Aufgaben in der Durchführung von klinischen Studien und in der Sicherung der Qualität der medikamentösen Tumortherapie sowie in der engen Zusammenarbeit transsektoral sowie mit benachbarten klinischen Disziplinen und Grundlagenfächern im Sinne einer bestmöglichen interdisziplinären Zusammenarbeit. Zudem ist die Einbindung von Patientenvertretern in die Planung und Durchführung klinischer Studien sowie eine Stärkung der Patient*innenpartizipation ein wichtiges Anliegen der AIO. Informationen unter: https://www.aio-portal.de
Über die DGHO
Die DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. besteht seit über 80 Jahren und hat heute mehr als 3.800 Mitglieder, die in der Erforschung und Behandlung hämatologischer und onkologischer Erkrankungen tätig sind. Mit ihrem Engagement in der Aus-, Fort- und Weiterbildung, mit der Erstellung der Onkopedia-Leitlinien, mit der Wissensdatenbank, mit der Durchführung von Fachtagungen und Fortbildungsseminaren sowie mit ihrem gesundheitspolitischen Engagement fördert die Fachgesellschaft die hochwertige Versorgung von Patientinnen und Patienten im Fachgebiet. In mehr als 30 Themenzentrierten Arbeitskreisen engagieren sich die Mitglieder für die Weiterentwicklung der Hämatologie und der Medizinischen Onkologie. Informationen unter: https://www.dgho.de
Über den CancerCOVID Verbund
Ziel des interdisziplinären CancerCOVID Forschungsverbundes ist die Entwicklung von evidenzbasierten und ethisch fundierten Handlungsempfehlungen für die Versorgung von Patienten mit Tumorerkrankungen. Der Verbund bestehen aus den Teilprojekten Ethik (Leitung: Prof. Jan Schildmann, Halle/Saale), Onkologie (Leitung: Prof. Anke Reinacher-Schick, Bochum) und Versorgungsforschung (Leitung Prof. Jochen Schmitt und Dr. Olaf Schoffer, Dresden). Weitere Informationen: https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/ressourcenallokation-fuer-die-krebsmedizin-im-kontext-von-sars-cov-2-12094.php
Pressemitteilung als PDF-Datei zum Downloaden: