Aufarbeitung des Lebens und Wirkens von Professorin Dr. Irene Boll - Ärztin, Wissenschaftlerin und Klinikleiterin ihrer Zeit

Aktuelles Projekt der DGHO

Maike_Busson-Spielberger.jpgMein Name ist Maike Busson-Spielberger, und unter meiner Federführung wurde – gemeinsam mit Dr. Marianne Giesler und Dr. Bärbel Miemietz – das Projekt „Genderparität der in der Hämatologie und Onkologie tätigen Ärztinnen und Ärzte“ umgesetzt. Die Ergebnisse der Studie wurden in Form des 19. Band der Gesundheitspolitischen Schriftenreihe „Ergebnisse der Umfrage zur Erfassung der Parität von Ärztinnen in Führungspositionen und Gremien in Deutschland, Österreich und der Schweiz“ veröffentlicht und im Rahmen einer virtuellen Pressekonferenz vorgestellt.

Von Hause aus bin ich Historikerin, Kunsthistorikerin und Romanistin. Seit 2010 arbeite ich als Gleichstellungsreferentin an der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg. Vor einigen Jahren hatte ich in diesem Zusammenhang die Geschichte der ersten Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen an der Medizinischen Fakultät Freiburg aufgearbeitet und dazu gemeinsam mit Professorin Eva Brinkschulte eine Ausstellung in Freiburg erarbeitet und präsentiert sowie einen Katalog veröffentlicht. Gerne wollte ich das Leben einer der ersten Professorinnen in der Medizin historisch bearbeiten, allerdings existierte zu den einzelnen Professorinnen meist nur sehr wenig Material. Umso größer war meine Freude, als Frau Iwe Siems, Geschäftsführerin der DGHO Service GmbH, mir berichtete, dass Professorin Irene Boll, DGHO-Mitglied und eine der ersten Professorinnen in der Hämatologie, der Fachgesellschaft einen sehr umfangreichen Nachlass vermacht hatte. Schnell wurde mir klar, dass die Auseinandersetzung mit dem Leben sowie dem ärztlichen und wissenschaftlichen Wirken von Professorin Irene Boll ein sehr spannendes Projekt sein könnte, das ich nun in Form einer Dissertation realisieren möchte.

Prof. Boll Deutscher Häamtologenkongress Köln Oktober 1971.JPGGeboren wurde Irene Thekla Mathilde Boll am 7. Oktober 1922 in Berlin als erstes Kind der Eltern Dorothea und Paul Boll. Die Mutter war gelernte Krankenschwester, der Vater promovierter Chemiker.

Aufgewachsen in Berlin in einer Zeit des Umbruchs, nahm Irene Boll nach dem Abitur das Studium der Humanmedizin auf. Sie war mit dreieinhalb Jahren an einer Osteomyelitis erkrankt und hatte daraus ein versteiftes linkes Bein zurückbehalten, das sie Zeit ihres Lebens begleitete. Sie musste mehrfach operiert werden und war nahezu drei Jahre an Gips und Rollstuhl gebunden.

In ihrer Autobiographie beschreibt sie ihre Studienwahl so: „Mein Vater erklärte mir, unmissverständlich, dass ich wegen meines steifen Beines nicht heiraten und Kinder bekommen könne. Kein standesgemäßer Mann würde mich zur Frau nehmen. Also müsse ich einen Beruf ergreifen, der mich gut ernähren würde.“ Die Überlegung von Irene Boll war, dass Patientinnen und Patienten, die ja selbst durch ihre jeweiligen Erkrankungen betroffen waren – ihrer körperlichen Beeinträchtigung wohl eher Verständnis aufbringen würden. Zudem erinnerte sie sich an die begeisternden Erzählungen ihrer Mutter von deren Ausbildungszeit als DRK-Krankenschwester in der Poliklinik. „Auch angesichts der Fehldiagnosen bei mir hatte ich Motivation zum Medizinstudium. Ich wollte das einmal besser machen“, schreibt sie weiter in ihrer Autobiographie.

Irene Boll verfolgte ihren geplanten Lebensweg mit einem äußerst starken Willen und begann 1941 mit dem Medizinstudium in Berlin, das sie 1947 mit dem Staatsexamen abschloss. Daran anschließend folgte die Famulatur. Im Mai 1948 erhielt Irene Boll die Vollapprobation. Sie hatte über „Der Bau der Milzgefäße“ bei Professor Hermann Stieve in Berlin promoviert. Nach dem Studium begann sie mit ihrer Facharztausbildung zur Internistin am Krankenhaus Moabit, die sie 1954 als Fachärztin für Innere Medizin abschloss.

Neben der klinischen Tätigkeit hatte Irene Boll gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Marianne Albrecht ab 1949 in der inneren Abteilung des Krankenhaus Moabit ein Gewebezüchtungslabor für Knochenmark etabliert, in dem die beiden Ärztinnen wissenschaftliche Untersuchungen durchführten und hämatologische Grundlagenforschung betrieben. Ab 1959 arbeitete Irene Boll als Oberärztin am Krankenhaus Neukölln. 1964 wurde ihr durch Professor Ludwig Heilmeyer im Rahmen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Wiesbaden der Theodor-Frerichs-Preis verliehen. 1970 wurde Irene Boll an der Freien Universität Berlin zur außerplanmäßigen Professorin ernannt. 1975 wurde sie Chefärztin der II. Inneren Abteilung des Krankenhauses Neukölln zu Berlin, die sie bis 1987 leitete.

Auch nach ihrer Pensionierung forschte sie weiter im Bereich der Hämatologie. Die erfolgreiche Hämatologin, Wissenschaftlerin und Klinikleiterin starb im Dezember 2013 und vermachte der DGHO einen umfangreichen Nachlass, der jetzt im Rahmen eines Forschungsprojektes aufgearbeitet werden soll.

Im Moment findet eine Bestandsaufnahme des Nachlasses statt. Welche Publikationen hat Irene Boll verfasst, welche Korrespondenzen gibt es? Welche Materialien finden sich darüber hinaus in ihrem Nachlass? Sobald der Nachlass erfasst ist, sollen weitere Quellen zu Irene Boll recherchiert und ihr Leben und Wirken in den Kontext ihrer Zeit gestellt und damit der Blick von außen auf Irene Bolls Leben erkennbar werden.

Folgende Forschungsfragen sind in diesem Zusammenhang interessant:

• Was kennzeichnet die wissenschaftliche Arbeit Irene Bolls?
• Wo kann sie als Wissenschaftlerin und Hämatologin in ihrer Zeit eingeordnet werden?
• Wie war das Leben als Frau in ihrer Zeit? Wie gestaltete sich das Leben einer Medizinstudentin zu dieser Zeit?
• Fühlte sich Irene Boll wegen ihrer Behinderung oder aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert?

Der Aufbau der Dissertation soll den biographischen Stationen Irene Bolls folgen.

Die Betreuerin des Projektes ist Professorin Dr. Veronika Lipphardt, Wissenschaftshistorikerin an der Universität Freiburg. Co-Betreuerin ist Professorin Dr. Eva Brinkschulte, Leiterin des Instituts für Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Magdeburg.

Sollten Sie Professorin Irene Boll gekannt haben oder Briefe etc. von ihr besitzen, freue ich mich über eine Kontaktaufnahme!

Maike Busson-Spielberger M. A.
busp@posteo.de

Foto oben:
Professorin Dr. Irene Boll auf dem Hämatologenkongress in Köln Oktober 1971
(Quelle: Gästebuch des Forschungslabors für morphologische und kinetische Hämatologie, Berlin)